Siem Reap Teil 3

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Motorsägen verboten: Das Plakat im Wald ist leider weiterhin erforderlich

120 Kilometer nordöstlich von Siem Reap liegt unser Ziel am nächsten Tag. Kurz nach Verlassen der Stadt fahren wir durch ein erst kürzlich erschlossenes Gebiet, in dem riesige Neubauten hoch gezogen werden. Laut Sarath entstehen hier vor allem Hotels. Schon heute beherbergt Siem Reap rund 1,4 Millionen Touristen im Jahr, die Tempel von Angkor sind DER Besuchermagnet Kambodschas. Noch vor weniger als 20 Jahren, erzählt Sarath, war hier nichts als Dschungel zu sehen. Doch dieser schrumpft landesweit beängstigend schnell.

50 Kilometer weiter fahren wir durch Rauchsäulen und Flächenbrände. Brandrodung schafft hier Platz für neue Plantagen, um Maniok und Bananen anzubauen oder Kautschuk zu gewinnen. Die Kautschukbäume wachsen schnell, schon nach 7 Jahren kann man mit der Ernte beginnen, und eine Tonne des Rohmaterials wird für 3000 US-Dollar exportiert. Viel Geld. Die wertvollsten Urwaldriesen, gigantische Teak- und Mahagonibäume, wurden eh bereits vor Jahren abgeholzt und zu Geld gemacht. Offiziell darf schon lange nicht mehr geschlagen werden, was der Wald her gibt, aber: Die Verwaltungsbeamten verdienen an jedem illegal geschlagenen Baum mit, munkelt man.

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Wie diese Ruine ist auch der Dschungeltempel zum Teil bizarr eingewickelt durch Wurzelwerk und Baumzweige

Uns macht die Entwicklung betroffen; Schließlich wissen wir gebildeten Europäer, wir durch die Welt jettenden Umweltschützer, dass jeder Baum wichtig fürs Klima ist. Ich hoffe, mein Sarkasmus ist deutlich genug, denn ich muss unweigerlich an eine Karikatur denken: Ein Eingeborener setzt die Säge an den letzten Baum inmitten eines abgeholzten Waldes an, da steigt ein Anzug-Bonze mit Zigarre im Mund aus einem dicken Schlitten aus, einer richtigen Dreckschleuder, und ruft: „Halt, Freund – wir brauchen diesen Baum für unser Klima!“ … Traurig ist die Entwicklung allemal, auch Sarath bedauert das weiträumige Verschwinden von Flora und Fauna.

Wir besichtigen den Tempel „Beng Mealea“ (Lotusbecken), der erst 1960 entdeckt (und daraufhin erfolgreich geplündert) wurde. Er ist der am dichtesten überwucherte Tempelkomplex der alten Khmer-Kultur. Es ist, als würde man ihn gerade selbst entdecken. Zusammen mit rund 200 weiteren Touristen natürlich. Die Holzstege, die die Eroberung auch für Fußkranke möglich machen, sind voller Menschen. Dennoch gibt es viel fürs Auge, die Wurzeln und Lianen haben das alte Gemäuer bizarr eingewickelt.

Unser Ziel, die Lingapura ( heute Koh Ker), ist ein Areal von etwa 81 Quadratkilometern Größe, in dem bis heute über 180 Tempel und andere Monumente entdeckt wurden. Ein Sandweg führt durch den Wald, und alle paar Meter taucht ein alter Tempel auf, mal einigermaßen erhalten und erkennbar, mal zu einem Steinhaufen zusammengefallen. Besonders beeindruckend ist die siebenstufige Pyramide Prasat Prang, 37 Meter hoch aus Sandstein erbaut, von der man eine fantastische Rundumsicht über das flache Land rundum hat. Überall begegnen uns die Lingas, die Phallussymbole von Shiva, die Fruchtbarkeit und Erfolg bringen sollten.

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Auf dem Weg zum Pyramidentempel im Gebiet der Lingapura

Man kann heute viele Monumente in der Lingapura gefahrlos besichtigen, bei einigen weiteren halten wir an. Vor jedem Tempel steht ein Schild: „Minefield cleared by…“ und dann folgt der Name einer Organisation oder eines Landes, auch Deutschland hat sich hier engagiert. In den Jahren des Bürgerkrieges (1979 – 1998) versteckten sich hier im Urwald die Roten Khmer im Schutz der Tempel, aus denen sie mit roher Gewalt, häufig unter Einsatz von Sprengstoff, alles noch vorhandene Werthaltige plünderten. Zu ihrem Schutz verminten sie großzügig das komplette Gelände ringsum. Lagepläne über die Lokation der Sprengkörper wurden nie erstellt. Entsprechend viele schlummern noch in den Böden. Bis heute ist es lebensgefährlich, den Wald zu betreten.

Das explosive Erbe des Bürgerkrieges fordert weiterhin Opfer. Man zählt jährlich zwischen 200 und 300 Tote durch Tretminen und Blindgängermunition. Zahllosen weiteren Kambodschanern fehlen Gliedmaßen. Die Versehrten begegnen uns überall, häufig zusammen geschlossen in Musikgruppen, die an touristisch gut besuchten Orten traditionelle Musik spielen und auf Spenden dringend angewiesen sind. Auch sie erhalten keine Rente, keine Entschädigung.

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Vor jedem Tempel findet sich die Information, wer wie viele Minen welcher Art geräumt hat

Der Genozid der 70er Jahre durch die roten Khmer ist eine Tragödie mit nachhaltigen Folgen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Kultur. Aus gebildeten Familien stammen ehrgeizige Kinder, die wiederum Wissen in die nächste Generation weiter tragen. Doch in Kambodscha gab es keine Bildungsbasis mehr. Fast die gesamte intellektuelle Elite des Landes wurde ausgelöscht. Das hat bis heute einen enormen Lehrermangel zur Folge, und damit unter anderem hohe Raten von Analphabeten. Auch die ärztliche Versorgung ist weiterhin mangelhaft. Mit Hilfe vieler NGOs versucht das Land, die Lücken zu schließen, auch der wirtschaftliche Aufschwung der letzten Jahre, nicht zuletzt dem Tourismus zu verdanken, bringt Fortschritte. Doch es bleibt viel zu tun.

Etwa zehn Tempel später machen wir uns auf den Rückweg. Der ist heute extrem spannend – es ist der Abend vor dem chinesischen Neujahrsfest, und leider sind viele offensichtlich Betrunkene mit ihren Mopeds (hiesiges Hauptverkehrsmittel) unterwegs. Schon an normalen Tagen ist der Straßenverkehr eine Gefahrenquelle. Verkehrsunterricht und Fahrprüfungen gibt es nicht, der Führerschein wird gekauft. Kopfverletzungen durch Unfälle sind Todesursache Nummer zwei in Kambodscha (eine Helmpflicht ist in Planung), nur übertroffen von Infektionen infolge der mangelhaften Hygiene im Land – so haben nur zehn Prozent aller ländlichen Haushalte eine Toilette. Erschwerend hinzu kommt die mangelhafte medizinische Versorgung – selbst wenn es einen Arzt gibt in der Nähe, die meisten Kambodschaner könnten ihn nicht bezahlen. Auch die Säuglings- und Kindersterblichkeit ist erschreckend hoch.

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