H wie Hysterie

Ein großer Teil des gesellschaftlichen Lebens spielt sich heute online ab. Auch Hundebesitzer treffen sich im Netz, diskutieren und fachsimpeln, tauschen sich aus über Lunas Aua und Brunos poop (wie der Amerikaner die Häufchen nennt), prahlen mit den Heldentaten ihrer haarigen Lieblinge, belehren einander mit Erziehungstipps und – beschimpfen sich.

Zum Beispiel, wenn eine Hundemama (zu 90 Prozent tummeln sich besorgte Frauchen in Foren und Sozialen Medien) in einer digitalen Interessengemeinschaft zugibt, sie habe ihrem allerliebsten Hündchen „etwas gegen Flöhe“ gegeben. Das gibt Mecker. Digitale Gruppenkeile. Die Messer sind gewetzt, die verbale Hinrichtung beginnt, Tenor: Wie man seinen Hund vorsätzlich vergiften kann!?! Die Diskussion endet mit dem Rückzug einer Partei. Entweder die vermeintliche Tierquälerin verzichtet darauf, sich weiter zu verteidigen. Oder die Anklagebank verstummt, nachdem die Schuldverdächtige hochmütig erklärt, dass es sich bei dem Flohmittel selbstverständlich um ein pflanzliches, natürliches, veganes, glutenfreies, biologisches, politisch korrektes gehandelt hat.

Hitzige Diskussionen toben im Weltweiten Netz – foto:  andreas160578/pixabay –

Auch in manchen Gruppen für Tiergesundheit, die ich aus beruflichem Interesse gelegentlich konsumiere, gibt es musterhafte Kommunikationsformen. Es winkt Beratung für alle Felle, von Tierbesitzern für Tierbesitzer. Und so postet der naive Neuzugang ein unscharfes Foto von einer kaum zu erkennenden Haut- oder Fellveränderung, oder er beschreibt sehr kurz und sehr allgemein eine leichte Gesundheitsstörung seines Wauzis mit der hoffnungsvollen­ Frage: „Was kann das sein? Hat das schonmal jemand gehabt?“ – Spätestens Kommentator Nummer 3 schickt den Fragesteller direkt zum Tierarzt: „Dr. Google hilft dir da nicht weiter!“ Und kaum weniger lange dauert es, bis ein hysterisches Gruppenmitglied den Killer rausholt, den ultimativen Verfolgungswahn der aufgeklärten Tierhalter: „Hat dein Hund kürzlich eine Impfung (Wurmkur? Flohtropfen?) erhalten? Das sind alle Nervengifte!“

Die weitere Diskussion wird nach 25 bis 90 Kommentaren vom Administrator geschlossen, bevor die ausgetauschten Beleidigungen strafrechtlich relevant werden. Vorher aber haben mindestens vier Teilnehmer noch den Klassiker eingeworfen: „Da musst du barfen!“.

Überhaupt barfen. Ich liebe folgenden Post eines unbekannten Verfassers: „Wenn ich mal Langeweile habe, frage ich in der Gruppe ‚Gesunde Hundeernährung‘, was besser ist: Frolic oder Chappi.“ Denn da kommt Stimmung auf! Das digitale Hauen und Stechen rund um die perfekte Fütterung der Haustiere ist um Welten unterhaltsamer, als jeder Best of-Zusammenschnitt von „Ich bin ein Star… holt mich hier raus“. Gleiches gilt für Impfdiskussionen, Meinungen zur Hundeerziehung oder die Frage nach dem einzig wahren Hundetrainer. Am Ende meiner online-Lektüre denke ich immer: Dass Social Media und Sado Maso die gleichen Initialen tragen, kann kein Zufall sein.

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