Der informierte Patient

Der Mediziner von heute hat es nicht leicht. Der ehemalige „Gott in weiß“ muss sich mit mehr und mehr Besserwissern abgeben. Ganz alltäglich ist, dass ein Patient schon bei der Begrüßung neben seinen Symptomen mehrere Verdachtsdiagnosen liefert. Einige klären ihren Arzt sogar über die richtige Therapie auf. Zu welchem Zweck sie sich überhaupt in seine Praxis begeben, konnte mir noch niemand beantworten.

Mir als Tierheilpraktikerin geht es natürlich ähnlich: Der Tierbesitzer hat sich im Internet bereits eingehend mit der Krankheit seines Vierbeiners befasst. Google lieferte eine runde Million Infoseiten, in Facebook fanden sich allwissende Gruppen mit wertvollen Tipps. Ich persönlich finde das nicht schlimm. Nach meiner Erfahrung muss der Therapeut den informierten Patientenbesitzer zunächst einmal in Ruhe alles erzählen lassen. Und dann reden wir darüber und finden eine sinnvolle Behandlung.

Information ist wichtig, aber nicht immer ist es sinnvoll, zuerst "Doktor Google" zu befragen
Information ist wichtig, aber nicht immer ist es sinnvoll, zuerst „Doktor Google“ zu befragen

Etwas nervig ist es, wenn der Klient nach seinem Besuch bei der Therapeutin täglich anruft, weil er im Internet etwas gefunden hat, was garantiert noch besser ist. Er gelangt so schnell in eine Art Therapie-Hopping – heute Bioresonanz, morgen Lichttherapie und übermorgen Schüssler-Salze. Ist vielleicht alles nicht verkehrt, aber hinterher weiß man nicht, was eigentlich geholfen hat (im günstigen Fall) oder warum es dem Tier immer noch schlecht geht (wenn eine Therapie die andere in der Wirkung behindert). Ein wenig Vertrauen zum Tierheilpraktiker vor Ort sollte vorhanden sein, sonst kann man sich den Besuch gleich sparen.

Wovon zweifelsohne abzuraten ist: In einer Notfallsituation zunächst mal die Facebook-Gruppe befragen, was zu tun ist: „Meine Dogge liegt auf der Seite und hechelt so komisch und der Bauch ist ganz dick und hart, was meint ihr, was kann das sein?“ (Magendrehung? Lebensgefahr!)… „Der Tito kneift seit gestern das Auge ganz schlimm zusammen und reibt immer mit der Pfote dran, und fressen will er auch nicht, soll ich da mal mit Kamillentee abwaschen?“ (Nein! Da muss der Fachmann gucken, ob ein Fremdkörper drin ist! Und zwar jetzt! Dein Hund hat Schmerzen! Und sowieso: Kamillentee reizt die Konjunktiven!)… Ich könnte unzählige Beispiele aus einschlägigen Foren anführen, die mir schon beim Lesen körperliches Unbehagen bereiteten. Im Notfall nicht posten… sofort losfahren.

Häufig finde ich im Internet auch folgende Aussage, die nicht vom aufgeklärten Patienten, sondern vom beschränkten Ignoranten stammt: „Dann gibt der Tierarzt wieder irgend eine Spritze und das kostet dann wieder 100 Euro, da frage ich lieber euch“. Fragen Sie lieber grundsätzlich den Tierarzt, welches Medikament er gibt und warum, also was es bewirken soll. Lassen Sie sich alle Analyse-Ergebnisse ausdrucken und notieren Sie sämtliche Therapiemaßnahmen. Denn wenn Sie die Klinik oder den Behandler wechseln, sind lückenlose Informationen sehr hilfreich. Anstelle von dieser Aussage, mit der ich viel zu häufig zu tun habe:  „… eine Spritze und Tabletten, die soll er 10 Tage nehmen… wie die heißen weiß ich nicht… das sind so weiße…“

Und noch eine Warnung: Wer im Internet sucht, der findet – auch Dinge, die er nicht wissen möchte. Nebenwirkungen, mögliche Komplikationen, Fehldiagnosen… Vergessen Sie nicht, eigenständig zu denken, und bleiben Sie ruhig!