72 Stunden Angst

Falls jemand heute Mittag gegen 13 Uhr einen lauten Rumms gehört hat – das war der Stein, der mir vom Herzen fiel.

Naddel und Murphy waren weg. Seit Sonntag. Drei Tage am Stück.

Klar, Schuld sind nicht die anderen. Wir hatten sie auf unserem Sonntagsmarsch in bekanntem Gelände gemeinsam von der Leine gelassen. Nur für einige Minuten, weil der Trampelpfad an der Steilküste inzwischen so bewachsen ist, dass Hundeleinen ständig hängen bleiben. Vorher sprachen wir noch drüber, dass einer der beiden immer als Geisel herhalten muss. Nachher sahen wir, dass sie sich zu zweit unauffällig von uns entfernt hatten, und als wir dann riefen, gaben sie noch extra Gas. Wir konnten das gerissene Doppel beobachten, wie es den Hang hinauf rannte. Keine Chance, diese beiden einzuholen. So beobachteten wir zunächst, ob sie sich besinnen und umkehren. Ein Fehler, wie wir jetzt wissen. Natürlich kehrten sie nicht um. Irgendwann, gegen 13 Uhr, verloren wir sie aus den Augen.

Erholungsbedürftig: Naddel
Erholungsbedürftig: Naddel

Schließlich kraxelten wir selbst die Steilküste hoch, auf dem kürzesten Weg, teilweise auf allen Vieren. Ich witzelte noch über „unsere persönlichen Fitnesstrainer“. Da wusste ich noch nicht, dass das Training drei volle Tage andauern würde.

Wir suchten sie bis in den Abend. Wegen der Dunkelheit mussten wir im freien Gelände aufgeben, vermuteten die Ausreißer dann aber im Ort und suchten dort noch weiter. Nichts.

Wir ließen die Gartenpforten auf in der Hoffnung, sie würden nachts nach Hause finden. Nichts.

Montag. Es kommen zwei Richtungen in Frage – die zu unserem jetzigen Zuhause, und die zu dem alten Haus, wo Naddel und Murphy auch jede Gasse kennen. Das sind vier Ortschaften. Wir beginnen, alle Straßen abzulaufen, rufend und pfeifend. Immer wieder regnet es, was die Suche erschwert. Vor allem ist uns klar, dass Naddel sich nicht aus dem Trockenen bewegt… Doch haben sie überhaupt ein geschütztes Plätzchen gefunden? Sind sie überhaupt im Dorf, oder halten sie sich nach wie vor in der Pampa auf? Tierärzte, Tierheime, Polizei, Gemeinde und Chip-Melde-Zentrale sind informiert.

Unendlich müde: Murphy
Unendlich müde: Murphy

Dienstag. Die Suche geht weiter. Wir hängen die ersten Suchplakate auf. Freunde helfen uns, das Inselradio sendet einen Aufruf. Immer mehr Menschen bieten ihre Hilfe an. Ich selbst ziehe mich nachmittags für kurze Zeit zurück unter die Bettdecke, kann nicht mehr mit Leuten reden ohne zu heulen, werde die schrecklichen Was-alles-passiert-sein-kann-Bilder nicht los, ertrinke in Selbstvorwürfen… Nachts fahren wir wieder los. Ohne Umgebungsgeräusche hört man vielleicht die Hunde winseln, hoffen wir. Erneut beginnt es zu regnen. Mit Kapuze auf dem Kopf hört man nichts. Abbruch.

Mittwoch. Sonne! Lassen sich Naddel und Murphy heute endlich irgendwo blicken? Ich drucke weitere 60 Aushänge aus und bereite sie für Freunde vor, die ihre Hilfe angeboten haben. Gegen 12.15 Uhr klingelt mein Handy. Der Tierarzt in Bahia Grande ist dran. Schluchzend höre ich, dass eine Autofahrerin Naddel auf der stark befahrenen Hauptstraße eingefangen und zu ihm gebracht hat. Was für ein Glück! 20 Minuten später halte ich sie auf dem Arm. Unverletzt. Etwas schmaler, ziemlich zerkratzt und schmutzig, aber überglücklich. Sie will nie wieder runter von meinem Arm.

Sofort startet der Suchtrupp in der Nähe des Naddel-Fundortes. Ich fahre mein Püppi nach Hause, gebe ihr eine leichte Mahlzeit und gegen das leichte Hinken ein homöopathisches Trauma-Medikament. Sie macht einen guten Eindruck, hat kein Fieber und will nach dem Fressen nur unter die warme Decke auf der Couch.

Mit Charly und Campino starte ich in Richtung Suchtrupp. Doch daraus wird nichts: Vor der Gartentür wartet geduldig Murphy. Tut so, als wäre er nur zehn Minuten weg gewesen. Ist gesund und munter, nicht einmal nennenswert verfilzt, nur ein wenig schlanker. Hungrig und später – genau wie seine Partnerin – sehr müde. Und unendlich erleichtert.

Heute also endlich Tränen des Glücks. Drei Tage können tierisch lang sein.

Noch ein exklusiver Tipp zum Schluss: Die Regenwasser-Aas-Diät ist zwar nicht schmackhaft, aber sehr effektiv.